Das angelsächsische Emergency Department
Ein Vorbild für die zentrale Notaufnahme?
Prof. Dr. R.T. Grundmann
Zu diesem Thema hat vor kurzem der Autor ausführlich Stellung genommen. Die Veröffentlichung ist nachzulesen in der Zeitschrift CHIRURGISCHE ALLGEMEINE Zeitung für Klinik und Praxis, Heft 4 und 5, 2010 (PDF-Download). Im Anschluss seien die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.
Hintergrund
Die Einrichtung von zentralen interdisziplinären Notaufnahmen (INA) in Krankenhäusern nimmt bei uns rapide zu. Dabei gibt es bei der Organisationsform verschiedene Vorstellungen. Die 2005 gegründete Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfallaufnahme (www.dgina.de) spricht sich für die Etablierungvon INA mit eigenständiger ärztlicher sowie pflegerischer Leitung und Projektverantwortung aus. Mittelfristig ist die INA rund um die Uhr die einzige Anlaufstelle eines Krankenhauses für alle medizinischen Notfälle. Als unabhängige Abteilung wird sie von einem qualifizierten Notfallmediziner geleitet und ist in der Regel dem Direktorium der Klinik unmittelbar unterstellt.
Im Rahmen hiervon wird die Einführung des Facharztes für Notfallmedizin für die Notaufnahmen Deutschlands gefordert. Dieser Auffassung steht die gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin entgegen, die eine kollegiale gemeinsame Leitung der zentralen Notaufnahme durch die Fachvertreter der Gebiete Innere Medizin und Chirurgie – hier speziell der Unfallchirurgie – vorschlägt und „auf die kostenträchtige Zwischenschaltung einer zusätzlichen und in Deutschland nicht erforderlichen Abteilungsstruktur für ‚Emergency Care’ Medizin“ verzichten möchte. Es sei weder medizinisch noch ökonomisch sinnvoll, eine derartige weitere Subspezialisierung zu etablieren (www.dgch.de).
Im Folgenden werden die Argumente beider Seiten abgewogen. Hierzu wurde die Effizienz der als Vorbild geltenden angelsächsischen Emergency Departments analysiert und ein Überblick über Personalbedarf, Personalstruktur und Kosten gegeben. Die Schnittstellen zum stationären Bereich (Intensivstation, verschiedene Formen der Aufnahmestation) und zum niedergelassenen kassenärztlichen Bereich werden untersucht. Auf Basis dieser Auswertung soll die Frage beantwortet werden, ob die angelsächsische Krankenhaus-basierte Notfallmedizin tatsächlich für uns Orientierungscharakter besitzt.
Fallzahlen und Patientenklientel in den USA
Im Jahr 2005 wurden in den USA 115,3 Millionen Besuche in ED registriert, mit durchschnittlich 30.000 Besuchen pro ED verglichen mit 23.000 im Jahr 1995, was einen dramatischen Zuwachs pro ED von ca. 31 % ausmacht. Allerdings handelte es sich bei wenigstens 50 % der Aufnahmen um keine echten Notfälle. Nur 15,5 % der Patienten trafen mit dem Krankenwagen im ED ein, die weit überwiegende Mehrzahl der Patienten kam im Privatwagen, Taxi oder zu Fuß. Einer sofortigen Versorgung bedurften 5,5 % der Fälle, notfallmäßige Versorgung innerhalb 1 – 14 Minuten war für weitere 9,8 % indiziert.
Als dringlich, der Patient sollte innerhalb 15 – 60 Minuten vom Arzt gesehen (nicht behandelt ) werden, wurden 33,3 % der Besuche eingestuft. Die 10 häufigsten Gründe für den Besuch des ED waren (in absteigender Reihenfolge): Magen- und Bauchschmerzen oder Krämpfe (6,8 %), Brustschmerzen (5 %), Fieber (4,4 %), Husten (2,9 %), Kopfschmerz (2,7 %), Rückenschmerzen (2,5 %), Kurzatmigkeit (2,4 %), Schmerz, nicht genau auf ein Körpersystem beziehbar (2,2 %), Erbrechen (2,2 %), Halsschmerzen oder ähnliche Symptome (1,9 %).
Ärztliche Personalausstattung des ED
Speziell in den großstädtischen Gebieten ist die Personalausstattung der nordamerikanischen ED sehr großzügig, rund die Hälfte der Abteilungen beschäftigen mehr als 10 Ärzte und ~ 20 % sogar mehr als 20, während umgekehrt in den übrigen Regionen ein Drittel der Abteilungen mit weniger als 5 Ärzten auskommt. Allerdings sind die Kosten für das Krankenhaus dann zu schultern, wenn die Ärzte als Vertragsärzte und nicht als Festangestellte die Versorgung tragen, wie dies in den Großstädten in gutem Zweidrittel der ED der Fall ist.
Darüber hinaus übernehmen Ärzte des ED ganz im Gegensatz zu der bei uns erhobenen Forderung nach separaten selbstständigen Abteilungen speziell im nicht-großstädtischen Bereich doch in fast 50 % der ED auch andere Aufgaben im Krankenhaus, was den hohen Personaleinsatz wirtschaftlicher gestalten lässt. Das Notfallmedizin-Zertifikat spielt für die Gesamtversorgung eine mindere Rolle, in ca. 40 % der Abteilungen besitzen weniger als 5 % der im ED tätigen Ärzte das Zertifikat, in den nicht-großstädtischen Regionen sind es sogar nahezu 50 % der ED. Umgekehrt beläuft sich der Prozentsatz der Abteilungen, bei denen wenigstens 50 % der Ärzte über das Zertifikat verfügen, im großstädtischen Bereich auf 23,4 %, in den übrigen Regionen auf 8,5 %.
Der Einsatz von Hospitalisten im ED
In den USA übernahm in den letzten Jahren eine wachsende Zahl sog. „Hospitalisten“ die Versorgung stationär zu behandelnder Patienten anstelle von Assistenzärzten oder konsiliarisch tätigen Allgemeinärzten, initial hauptsächlich in der Inneren Medizin und Pädiatrie. Ihrer Ausbildung nach handelt es sich bei Hospitalisten überwiegend um festangestellte allgemeine Internisten, die mittlerweile nicht nur die genannten Stationen versorgen, sondern auch konsiliarisch den Chirurgen bei der Stationsarbeit entlasten können, einschließlich der Triage-Arbeit im ED. Diese Entwicklung widerspricht scheinbar der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin, tatsächlich hat sich aber der Hospitalist auf sein Arbeitsgebiet, die Betreuung des Krankenhauspatienten, ähnlich wie der praktische Arzt auf den ambulanten Sektor, spezialisiert.
In einer Studie des Johns Hopkins Medical Center waren Hospitalisten die alleinige Anlaufstelle eines aktiven Bettenmanagement, was zu einer kürzeren Durchlaufzeit im ED, vermehrten stationären Aufnahmen und einer Abnahme der Zeiten führte, in denen das ED wegen Überlastung Notfälle weiterleiten musste. Positive Erfahrungen mit Hospitalisten wurden auch in der chirurgischen Notfallaufnahme selbst gemacht – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffektivität. Dies kann bei der Forderung nach einem speziellen Facharzt für Notfallmedizin als Leiter einer INA sowohl als Pro- als auch als Gegenargument verwendet werden. Pro deshalb, weil offensichtlich der Erfahrene, der sich auf die Arbeit im ED konzentriert, dessen Effektivität und Qualität erhöht, kontra, weil es augenscheinlich hierzu keiner Subspezialität „Notfallmedizin“ bedarf.
Der praktische Arzt in der Notfallambulanz – ein Modell der integrierten Versorgung unter Kostengesichtspunkten
In einer prospektiven Erhebung des King’s College (London) ließen sich 41 % der Patienten, die im ED behandelt wurden, der Gruppe der Primärversorgung zurechnen, d.h. die Patienten hätten ebenso gut vom Hausarzt behandelt werden können. Ein Teil dieser so definierten Patienten wurde unter kontrollierten Bedingungen nicht von den festangestellten Ärzten in Weiterbildung des ED, sondern von Allgemeinmedizinern versorgt, die auf Honorararztbasis Sprechstunden im ED abhielten. Die Allgemeinmediziner verbrauchten weniger Ressourcen, kenntlich z.B. an einer geringeren Zahl an Röntgenuntersuchungen, Diagnostik, Verschreibungen und Überweisungen.
Dies führte zu deutlich geringeren Behandlungskosten, die Kosten pro Fall betrugen durchschnittlich 58 £, wenn ein jüngerer Assistent die Behandlung durchführte, 44 £, wenn ein erfahrener Assistent oder wenn der Allgemeinmediziner die Behandlung durchführte, 32 £. Hinsichtlich klinischem Ergebnis und Patientenzufriedenheit gab es keine Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Die erste randomisierte Studie zu dieser Fragestellung kam zu dem gleichen Ergebnis. Beide Studien belegen, dass der erfahrene Allgemeinarzt im ED wirtschaftlicher arbeitet als der Assistenzarzt des ED und unterstützen so indirekt die amerikanische Empfehlung des Einsatzes von Hospitalisten in diesem Bereich. In den Niederlanden wurden aufgrund dieser Erkenntnisse die ersten sogenannten integrierten Notfallstellen („Integrated Emergency Posts“) eingerichtet, in denen durch eine Organisation an einem Zugangspunkt die adäquate Versorgung von Notfällen erfolgt, die komplexe spezialisierte Versorgung durch Ärzte des ED, die weniger komplexe Behandlung durch Allgemeinmediziner.
Die im Krankenhaus integrierte Kooperative der Niedergelassenen kann dabei völlig selbstständig arbeiten, die Zuteilung der Patienten zu beiden Arztgruppen („Gatekeeper“-Funktion) erfolgt an der Aufnahme durch besonders geschulte Pflegekräfte oder Arzthelferinnen. Die Einrichtung von IEPs ist sozioökonomisch sinnvoll, führt aber zu einer Arbeitsumverteilung mit Entlastung des festangestellten Klinikpersonals mit entsprechenden finanziellen Einbußen und Reduzierung des Klinikbudgets. Ob des Weiteren genügend Allgemeinärzte vorhanden oder bereit sind, in einem solchen durchaus empfehlenswerten Modell mitzuwirken, ist regional unterschiedlich zu beantworten. Der Erfolg hängt davon ab, ob es gelingt, den ärztlichen Bereitschaftsdienst der kassenärztlichen Vereinigungen umzustrukturieren und einzubinden.
Die sichere Intubation als Qualitätsmerkmal der hospitalbasierten Notfallmedizin
Den kritisch Kranken falls notwendig rasch und sicher im ED intubieren zu können, wird als ein wichtiges Qualitätsmerkmal der Notfallmedizin angesehen. Verschiedene Untersucher haben die Intubations-Fertigkeit von Notfallmedizinern überprüft. Eine der größten Recherchen hierzu wurde von Sagarin et al. (2005) vorgelegt: In dieser Studie führten Notfallmediziner in Ausbildung 77 % (5768 / 7498) aller initialen Intubationsversuche in 31 ED der USA und Kanada durch. Der Erst-Intubierende war in 90 % der Fälle erfolgreich, davon bei 83 % der Patienten im ersten Versuch. Diese Ergebnisse sind denen von Anästhesisten durchaus ebenbürtig. In einem prospektiven Vergleich von Ärzten in Weiterbildung für Anästhesie mit solchen in Notfallmedizin bestand kein Unterschied zwischen beiden Ausbildungsgängen.
Das Gleiche gilt auch für die Fachärzte: In einer prospektiven Erhebung gelang mit maximal 2 Versuchen 94,6 % der Anästhesisten und 95,2 % der Notfallmediziner die Intubation traumatisierter Patienten. Diese Daten können in zwei Richtungen interpretiert werden: Die Anhänger eines Facharztes „Notfallmedizin“ werden argumentieren, dass Notfallmediziner das „Intubationsgeschäft“ genauso gut wie Anästhesisten beherrschen, während die Gegenseite auf die fehlende Notwendigkeit der Vorhaltung eines speziellen Notfallmediziners hinweisen kann, solange der Anästhesist über die (zentrale) Notfallaufnahme jederzeit erreichbar ist.
Die Überlastung der Notfallaufnahme – eine Gefahr für die Patientensicherheit?
Überlastete ED stellen ein ernstes Qualitätsproblem in den USA dar. Nach dem Bericht des Institute of Medicine (2006) mussten in den USA beinahe 70 % aller in Städten lokalisierten Krankenhäuser im Jahr 2004 zumindest zeitweise Notfälle abweisen, mit erheblichen Verzögerungen bei der klinischen Notfallbehandlung und Auswirkungen auf das Management, falls die Patienten nicht in Einrichtungen mit der notwendigen Expertise eingeliefert werden konnten. Ob die Überlastung des ED bzw. die Überlastung des Personals auf Kosten der Patientensicherheit geht, wurde von zwei australischen Arbeitsgruppen untersucht. Beide Erhebungen konnten eine Beziehung zwischen Überlastung und Patientensterblichkeit aufzeigen. Auch wenn man diese Daten mit Vorsicht interpretieren muss, so gilt doch als bewiesen, dass sich die Behandlungsqualität mit ansteigender Belastung des ED verschlechtert (gemessen z.B. an einer adäquaten Schmerztherapie oder der frühzeitigen Antibiotikatherapie bei Patienten mit Lungenentzündung). Eine mögliche Erklärung ist, dass bei Überlastung des Personals mehr Fehler gemacht werden.
Schnittstelle Notfallaufnahme / Intensivstation
Patienten, die der intensivmedizinischen Therapie bedürfen, sollten so rasch wie möglich aus dem ED dorthin verlegt werden. Eine Verzögerung der Verlegung aufgrund von Kapazitätsengpässen wirkt sich auf die Ergebnisse negativ aus. Dies zeigen die Daten einer US-amerikanischen multizentrischen Erhebung an 50.322 Intensivpatienten. Hier hatte eine Verzögerung der Weiterleitung der Patienten auf die Intensivstation, definiert als ein Aufenthalt von > 6 Stunden im ED vor Aufnahme auf die Intensivstation, einen signifikanten negativen Einfluss auf Intensivstations- und Hospitalletalität (Letalität in der Intensivstation bei Verzögerung 10,7 % vs. 8,4 % [keine Verzögerung], Klinikletalität 17,4 % vs. 12,9 %). In die gleiche Richtung weist eine retrospektive Studie: Patienten, die vom ED direkt auf die Intensivstation verlegt wurden, hatten eine signifikant geringere 30 Tage-Letalität als solche, die zunächst in der Allgemeinstation untergebracht wurden, aber innerhalb von 24 Std. auf die Intensivstation übernommen werden mussten. Das ED ist möglicherweise nicht der optimale Platz für eine Behandlung dieser Patienten über die akute Notversorgung hinaus. Um diese Lücke zu schließen, gibt es im UK den Vorschlag, zumindest einen Teil der Notfallmediziner auch als Intensivmediziner auszubilden. ED, die mit derart qualifizierten Ärzten besetzt sind, sollen dann die volle Verantwortung für die Behandlung von Notfallpatienten in den ersten 24 Std. nach Klinikaufnahme übernehmen.
Die Aufnahmestation
Mangel an Klinikbetten zur Übernahme von Patienten, die nur kurzfristig stationär beobachtet oder therapiert werden müssen, oder bei denen die Diagnostik voraussichtlich mehr als 3 oder 4 Stunden beanspruchen wird, ist ein wesentlicher Grund für die Überlastung der ED speziell in den USA. Eine Antwort hierauf ist die Schaffung einer Aufnahmestation, die der zentralen Notaufnahme zugeordnet ist(im Sinne eines Aufnahmezentrums) und die in den angelsächsischen Ländern häufig von einem Notfallmediziner geleitet wird. Aufnahmestationen werden mittlerweile auch bei uns als „zukunftsweisendes Konzept“ propagiert, es ließen sich so die kurzzeitstationären Behandlungsfälle verdoppeln, die Zahl der vorstationären Behandlungsfälle erhöhen. Die Effizienz der Aufnahmestation ist von ihrer Auslastung und Struktur abhängig.
In einer Umfrage gaben nur 38 % der akademischen ED der USA eine funktionierende Beobachtungsstation an. Auch im UK hat sich das Konzept – obwohl seit Jahrzehnten (!) propagiert – nicht überall durchgesetzt, in der Ermittlung von Goodacre (1998) hielten 36,5 % der ED (95 von 260) eine Beobachtungsstation zur kurzstationären Behandlung vor. Zu den Diagnosen, die eine routinemäßige Aufnahme in die Beobachtungsstation veranlassten, gehörten in abnehmender Häufigkeit: geringfügige Schädelverletzung, Alkohol- und Drogenintoxikation, alte, schlecht mobile Patienten, soziale Probleme, Weichgewebsinfektion, Selbstvergiftung, Zust. n. epileptischem Krampfanfall, Zust. n. Narkose, Thoraxverletzung, Zust. n. Hypoglykämie, Handverletzung.
Das Department of Health im UK hat darauf hingewiesen, dass von Aufnahmestationen, die dem ED angeschlossen sind, verschiedene Aufgaben zu erfüllen sind, die einen unterschiedlichen Personalbedarf und Qualifikation erfordern. Die britischen Empfehlungen gehen davon aus, dass zwischen 2 und 5 % der Besucher einer Notfallaufnahme pro Jahr in einer Beobachtungsstation aufgenommen werden könnten, ein Krankenhaus habe danach 1 Bett / 5000 ED-Besucher jährlich vorzuhalten, das Ziel müsse die Entlassung der Patienten innerhalb von 6 – 24 Stunden nach Aufnahme sein. Bei Nicht-Erreichung dieser Vorgaben ergeben sich negative Auswirkungen auf Sicherheit der Behandlung, Wirtschaftlichkeit und Personalbedarf, wie eine kritische Analyse der Aufnahmestation des Glasgow Royal Infirmary zeigt. So können Aufnahmestationen auch zu unnötigen stationären Aufnahmen verleiten und zur Verknappung von Personal in der Notfallaufnahme selbst führen. Ihre Leistungsfähigkeit ist an die Kapazität der Diagnostik gebunden und (nicht zuletzt): Die Kosten-Effektivität der Aufnahmestationen ist nicht bewiesen!
Kosten
Die Kosten der ED stehen in den USA in Kritik, bedingt auch durch die Behandlung der nicht dringlichen Fälle. Laut Bericht des Institute of Medicine (2006) werden die Therapiekosten für Bagatellverletzungen oder leichtere Erkrankungen im ED als 2 – 5 Mal so hoch wie in einer normalen Arztpraxis geschätzt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine prospektive Kohortenstudie in Kanada bei Analyse der Kosten nicht-dringlicher und Bagatellerkrankungen: Dort betrugen z.B. die mittleren Behandlungskosten für eine akute Bronchitis, die vom Hausarzt behandelt wurde, 30 CDN $, verglichen mit 112 CDN $ bei einer Behandlung im ED. Für den Harnwegsinfekt waren die Unterschiede noch deutlicher, 40 vs. 177 CDN $. Die Gründe hierfür lagen zum einen in häufigeren Wiedereinbestellungen der Patienten, zum anderen in den höheren Overheadkosten der ED. Hinzu kommt die Versorgung nicht – oder unterversicherter Patienten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Nach dem Bericht der amerikanischen Krankenhausgesellschaft wurden im Jahr 2008 von 5010 Krankenhäusern nicht bezahlte Leistungen in Höhe von 36,4 Milliarden US $ erbracht.
Schlussfolgerung
Die vorliegenden Ausführungen haben verschiedene Bedingungen aufgezeigt, die erfüllt sein müssen, damit die Einrichtung einer zentralen Notfallaufnahme unter den Gesichtspunkten von Qualität und Ökonomie gerechtfertigt ist. Die wichtigste Voraussetzung sind hohe Fallzahlen und damit eine Auslastung der Abteilung, die den kostspieligen Personalbedarf mit Vorhaltung von Fachärzten rechtfertigt. Die Etablierung einer zentralen Notfallaufnahme verlangt nicht zwangsläufig die simultane Einrichtung einer Aufnahmestation. Die analysierten Studien geben keine Hinweise darauf, dass unter unseren Bedingungen eine Besetzung der zentralen Notaufnahmen durch Fachärzte für Notfallmedizin die Ergebnisse verbessern würde. Im Gegenteil ist organisatorisch zu überlegen, wie die Patientenströme vorteilhafter kanalisiert werden, so dass die leichteren und nicht dringlichen Fälle vom Allgemeinmediziner oder „Hospitalisten“ separat versorgt werden, die wirklich lebensbedrohlichen Erkrankungen aber direkt den Spezialisten erreichen. Die wesentliche Herausforderung für alle, die eine Übernahme angelsächsischer Modelle bei uns fordern, ist, die schwache Datenbasis hinsichtlich der Qualitätsindikatoren zentraler Notfallaufnahmen so rasch wie möglich zu vertiefen.